Osteopathische Medizin

Zusammenfassung

Osteopathie ist eine manualmedizinische Methode, die der amerikanische Arzt Dr. Andrew Taylor Still (1828-1917) in Kirksville, Missuri, im Jahre 1874 begründete. Die osteopathische Philosophie versteht den Körper als Einheit, geht von Selbstheilungskräften aus und sieht eine gegenseitige Abhängigkeit von Struktur und Funktion.

Osteopathen unterteilen den Körper in 3 zusammengehörige anatomische Systeme: das parietale, viszerale und cranosakrale System. Therapeutisch steht die Beseitigung der osteopathischen Läsion und die Wiederherstellung eingeschränkter Beweglichkeit im Bereich des Skeletts, der Gelenke, der Muskulatur, der Organe, der faszialen, vasculären, lymphatischen und neuronalen Strukturen im Vordergrund.

Einleitung

Auch wenn die Osteopathie in der letzten Zeit einen rapide ansteigenden Bekanntheitsgrad unter Ärzten und Patienten erlangt hat, gibt es immer noch viele, die mit dem Begriff wenig anfangen können.

Die Wortschöpfung „Leiden der Knochen“ ist aus historischen Gegebenheiten erklärbar und hat nichts mit der renalen Osteopathie gemeinsam. Der Begriff Osteopathie beschreibt nicht nur eine eigene ganzheitliche Methode, sondern umfasst eine eigene ganzheitliche Sichtweise, Gesundheit und Krankheit zu erklären. Neben den wissenschaftlichen Aspekten betonen Osteopathen philosophische Ansätze, die der Body- Mind- Medizin zuzuordnen sind.

In den USA verfügen Osteopathen, die eine komplette schulmedizinische Ausbildung haben, über eigene osteoathische Universitäten und sind deshalb den herkömmlichen Medizinern (Allopathen) gleichgestellt. Die osteopathische Manualmedizin hat mit anderen Methoden, wie der Chirotherapie oder Chiropraktik, viele Gemeinsamkeiten, die allerdings auf parietale Techniken beschränkt sind.

Diagnose und Therapie unterscheiden sich durch das viszerale und chraniosakrale System teilweise erheblich von manualmedizinischen Vorgehensweisen, die im parietalen System angesiedelt sind.

 

Entwicklung der Osteopathie

 

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Zunehmend unzufrieden…
mit der damaligen Medizin und regelrecht angewidert von den vorherrschenden Therapieprinzipien entwickelte Still über Jahre eine Therapie, die auf der Grundlage körpereigener Heilungsmöglichkeiten beruhte und nur den Einsatz seiner Hände erforderte. Die Körper- Geist- Seele- Beziehung sollte in Diagnostik und Therapie hinreichend gewürdigt werden.

Als religiöser Mensch war er davon überzeugt, dass Gott den Körper mit Selbstheilungskräften ausgestattet hat, die man nur aktivieren muss („…nature at will, can and does produce solvents, necessary to melt down deposits of fiber, bone, or any fluid or solid found in the human body“).

Durch seine profunden anatomischen Kenntnisse, die er sich durch Sezierung von Leichen und durch die Arbeit als Chirurg im Bürgerkrieg erworben hatte, gelangte er zu der Überzeugung, dass das muskuloskelettale System mit seinen vasculären Beziehungen den Schlüssel zur Auslösung von Heilprozessen darstellt. Folgende Äußerungen von Still unterstreichen das:

„Disease is the result of anatomical abnormalities followed by physiolgical discord….

It appears perfectly reasonable to any person above the condition of an idiot, who has familiarized himself with anatomy and is working with the machinery of life, that all diseases are mere effects, the cause being a partial or complete failure of the nerves to properly conduct the fluids of life…

When all parts of the human body are in line we have perfect health. When they are not, the effect is disease. When the parts are readjusted disease gives place to health.“ Eines seiner berühmtesten Zitate lautet: „Gesundheit zu finden sollte das Ziel eines Arztes sein, Krankheit kann jeder finden.“

Krankheit konnte in seinen Augen leicht festgestellt werden. Vordringliches Ziel eines Osteopathen jedoch sollte es sein, die Stelle im Körper aufzusuchen, an welcher der Weg der Gesundheit verlassen wurde.

Erst dann könnten die vom Körper gelenkten Heilprozesse ausgelöst werden. Fehlstellungen von Knochen dienten Still gleichsam als Hebel zur Auffindung und Abschätzung von Gewebeungleichgewichten, daher nannte er seine Methode im Jahre 1874, die vorher als die „Still- Behandlung“ bekannt wurde, Osteopathie: „Leiden der Knochen“.

Beflügelt von seinen Behandlungserfolgen, die Patienten wie auch interessierte Therapeuten von weit her anlockten, gründete er im Jahre 1892 in Kirksville, Missouri, die erste amerikanische Schule für Osteopathie. In der Anfangszeit bewegte sich die Osteopathie vornehmlich im Bereich des parietalen Systems, Palmer, Bergründer der Chiropraktik war ein aufmerksamer Zuhörer der Still`schen Osteopathie- Lehre.

Schüler von Still konnten sein System im Sinne der osteopathischen Philosophie bedeutend erweitern. Ein genialer Schüler war William Garner Sutherland (1873-1954), der den DO- Grad 1900 in Kirksville erwarb und die craniosakrale Behandlungsmethode innerhalb des osteopathischen Konzeptes entwickelte.

Frank Chapman nahm sich um 1920 als Schwerpunkt dem lymphatischen System an und beschrieb die viscerosomatischen Chapman- Reflexpunkte. Der Engländer John Martin Littlejohn beendete 1899 sein Studium bei Still und gründete 1917 die British School of Osteopathy. In neuerer Zeit beschrieb der Franzose Jean Pierre Barral ein abgeschlossenes System der viszeralen Manipulation.

 

 

Dr. Andrew Taylor Still

 

Der Begründer und vielzitierte Vater…

der Osteopathie ist der amerikanische Arzt Dr. Andrew Taylor Still (1828-1917). Sein Lebensweg lässt das osteopathische Konzept etwas plastischer erscheinen. Geboren als Sohn eines Landarztes und Methodisten in Virginia, USA, kam er mit Patienten schon frühzeitig als Begleiter seines Vaters in Berührung. Der junge Andrew Taylor entwickelte schnell eine Faszination für Anatomie und nahm mit Begeisterung Dissektionen an Tieren, die auf der Jagd erlegt worden waren, vor.

Schon in jungen Jahren litt der junge Andrew Taylor an heftigen Kopfschmerzen und konnte so am eigenen Leib den Leidensdruck von Patienten nachvollziehen. Er entwickelte eine wirksame Technik zur Schmerzreduzierung, indem er seinen Hinterkopf über ein abgesenktes Schaukelseil unter eine leichte Traktion setzte.

Diese nachhaltige Erfahrung einer einfachen Körpertechnik hatte großen Einfluss auf die spätere Entwicklung der Still`schen Osteopathie. Still, schon frühzeitig entschlossen, den Weg eines Arztes zu gehen, erwarb seine medizinischen Fähigkeiten, wie in der damaligen Zeit üblich, durch Beobachtung anderer Ärzte (hauptsächlich seines Vaters), durch Selbststudium und Kurse an der medizinischen Universität von Kansas City.

Später wurde ihm der Grad MD (Medical Doctor) vom Staat Missouri verliehen. Neben seiner Tätigkeit als Arzt, die er im Staat Missouri begann und seine Familie nicht ernähren konnte, betrieb er erfolgreich eine kleine Farm. Sein scharfer Verstand ließ ihn auch im Bereich des Landmaschinenbaus neue Konzepte entwickeln, auf die er mehrere Patente erhielt.

Still musste neben wirtschaftlichen Katastrophen, ein Sturm zerstörte sein gesamtes Anwesen, auch persönliche Schicksalsschläge hinnehmen: Während einer Meningitis- Epidemie stand er dem Tod von drei seiner Kinder hilflos gegenüber. Bei Erkrankungen seines Vaters und seines Bruders stieß er immer mehr an die Grenzen der damaligen Medizin, die mit Medikamenten wie Quecksilber, Laxantien, Rauschmitteln, übertriebenen Aderlässen und unsauberen chirurgischen Eingriffen oft mehr Schaden als Nutzen bewirkte.

 

 

Die Geschichte der Osteopathie in den USA

 

In den USA…

wurde das osteopathische Konzept gegen die herkömmliche Schulmedizin (Allopathie) über Jahrzehnte vehement verteidigt. Aber erst in den Jahren 1967 bis 1973 konnte eine vollständige Anerkennung und Gleichstellung der osteopathischen mit der allopathischen Medizin in allen Bundesstaaten der USA erreicht werden.

Die Osteopathen hatten sich allen Übernahmeversuchen seitens der Schulmedizin erfolgreich erwehrt und ihr therapeutisches Prinzip als eigenständiges Studium durchsetzen können. Den heutigen Stellenwert der Osteopathie in den USA unterstreichen 19 osteopathische Universitäten, an denen Medizin studiert werden kann.

Im Gegensatz zu den herkömmlichen (allopathischen) Medizinern mit ihrem Abschlussgrad MD (medical doctor) schließen die Osteopathen mit einem DO (doctor of osteopathy) ab. Studium und Facharztausbildung in Chirurgie, Innere, Neurologie usw. sind identisch, die Osteopathen allerdings werden zusätzlich in osteopathischer Philosophie und manualmedizinischen Techniken unterrichtet.

Des weiteren gibt es den Facharzt für osteopathische Manualmedizin (OMT= osteopathic manipulative treatment). Derzeit praktizieren ca 45.000 Osteopathen in den USA, im Vergleich mit der deutlich höheren Zahl der Allopathen (Verhältnis ca. 1:5) haben die Osteopathen prozentual die höheren Steigerungszahlen von Universitätsabsolventen aufzuweisen.

 

 

Osteopathische Philosophie und Therapie

 

Still formulierte folgende Grundsätze, auf denen die osteopathische Philosophie ruht:

 

  1. Der Körper ist eine ganzheitliche Einheit aus Körper, Geist und Seele.
  2. Der Körper verfügt über Selbstheilungskräfte, Selbstregulationsmechanismen und Gesunderhaltungssysteme.
  3. Der Körper besteht aus Gewebestrukturen, deren Form und Funktion untrennbar miteinander verbunden sind.
  4. Die osteopathische Therapie basiert auf der Körper- Geist- Seele- Einheit, der Aktivierung der Selbstheilungskräfte und der untrennbaren Beziehung zwischen Gewebeform und Gewebefunktion.

 

Diese Prinzipien, die im Kern jede Krankheit auf eine Störung der anatomischen Integrität und nachfolgende Veränderung der Physiologie reduzieren, bilden auch noch heute das Grundgerüst der osteopathischen Philosphie („Disease is the result of anatomical abnormalities followed by physiologic discord“).

Die dem Körper innewohnenden Selbstheilungskräfte können in ihrer Kompensationsfähigkeit durch Gewebeungleichgewicht, fasziale Restriktionen, Flüssigkeitsstauungen, Druck auf Nerven, Fehlstellungen von Knochen, Minderbeweglichkeit von Organen und mangelnde Flexibilität der Skelettmuskulatur erschöpft werden.

Unter Berücksichtigung der damaligen Erkenntnisse war dieser pathophysiologische Erklärungsversuch weitaus sinngebender als die damaligen Erklärungsversuche auf Basis der noch vorherrschenden humoralen Theorien.

Auch wenn diese Sichtweise im Licht des wissenschaftlichen Fortschritts nicht mehr ausreicht, um Krankheitsentstehung vollständig zu erklären, so können gerade Funktionsstörungen und daraus resultierende Strukturläsionen auf dieser Basis therapeutisch eindrucksvoll gebessert beziehungsweise vollständig beseitigt werden.

Die American Osteopathic Association (AOA) und ihre osteopathisch manualmedizinische Unterorganisation, die American Academy of Osteopathy (AAO) geben folgende Definition der Osteopathie ab:

„Osteopathy, or Osteopathic Medicine is a philosophy, a science and an art. Its philosophy embraces the concept of the unity of body structure and function in health and disease. Its science includes the chemical, physical an biological sciences related to the maintenance of health and the prevention, cure, and alleviation of disease. Its art is the application of the philosophy and the science in the practice of osteopathic medicine and surgery in all its branches and specialties.“

 

 

Worin besteht nun das Wesen der osteopathischen Therapie?

 

Die osteopathische Manualmedizin…

spürt Blockaden, Bewegungsverluste, Fehlspannungen, Reflexpunkte von Gewebestrukturen auf und beseitigt diese durch gezielte Gewebemobilisationen, Manipulationen und Reflexpunktbehandlungen.

Dabei beschränkt sie sich nicht auf das parietale System, sondern bezieht sämtliche Gewebe wie innere Organe, Faszien, Gewebeanheftungsstellen, Gefäß- und Nervenstrukturen, Lymphbahnen, Schädelstrukturen, den craniosakralen und visceralen Rhythmus in ihre Therapie mit ein.

Der Osteopath hat ein erweitertes Verständnis von Gelenken. Alle Strukturen, die aufeinandertreffen und sich in irgendeiner Form gegeneinander bewegen, werden als Gelenk bezeichnet, so zum Beispiel das Knochen- Organ- Gelenk (Schambein- Blase), das Muskel- Organ- Gelenk (Niere- Hüftbeugemuskel), das Organ- Organ- Gelenk (Niere- Leber).

Das Prinzip der uneingeschränkten freien Beweglichkeit der einzelnen Gewebe und des freien Flusses aller Körperflüssigkeiten, insbesondere des lymphatischen Systems, nimmt im osteopathischen Konzept eine entscheidende Position ein. Osteopathen haben den craniosakralen Rhythmus der cerebrospinalen Flüssigkeit und den visceralen Rhythmus der inneren Organe entdeckt. Diese Körperrhythmen werden in der Diagnostik und Therapie innerhalb des craniosakralen und visceralen Konzeptes verwendet.

Psychisch- mentale, emotionale und auch spirituelle Faktoren, die nach osteopathischer Auffassung Gewebeläsionen hinterlassen können, finden je nach Schwerpunktausrichtung des osteopathischen Therapeuten Berücksichtigung auf dem diagnostischen und therapeutischen Weg. Verschiedene Gewebeformen, insbesondere das Bindegewebe, speichern im osteopathischen Verständnis physische und emotionale Traumata ab und führen in unterschiedlichem Ausmaß zu Funktionsstörungen, fakultativ auch zu strukturellen Schädigungen.

 

 

Beispiele osteopathischer Grundtechniken

 

Nachfolgend seien beispielhaft einige Basistechniken, die wiederum eine Vielzahl von Untertechniken aufweisen, genannt:

 

  • Impulstechniken (HVLA = High velocity, low amplitude)
  • Die Muscle- Energie- Techniken
  • Die Myofaszialen- release- Techniken
  • Die Strain- Counterstrain- Techniken
  • Die balancierten Ligament- Techniken
  • Die Lymphatische manipulation
  • Die Reflexpunktanwendungen
  • Chapman- Reflexe, Jarricot- Reflexe u.a.
  • Die viszeralen Manipulationen
  • Die Craniosakralen Techniken

 

 

Drei Hauptsysteme

 

Das parietale, viszerale und craniosakrale System

Die Osteopathie unterteilt drei Teilbereiche, die anatomische und funktionelle Gemeinsamkeiten aufweisen. Die drei Systeme werden in Diagnostik und Therapie mit unterschiedlichen Schwerpunkten verwendet, sind aber innerhalb der osteopathischen Betrachtungsweise untrennbar miteinander verbunden. Die in Mode kommende Herauslösung des Craniosakralen Systems als eigenständige Therapie wird von Osteopathen sehr kritisch bewertet.

  • Parietales SystemDas parietale System beschreibt vornehmlich das Stütz- und Haltesystem des Körpers mit Skelettsystem, Knochen, Gelenken, Sehnen, Bändern und Muskulatur sowie Fasziensystemen. Parietal arbeiten auch Chirotherapeuten, Chiropraktiker und Physioterapeuten.
  • Viszerales SystemZum viszeralen System gehören die inneren Organe mit ihren Faszien und Anheftungen, die peritonealen, pleuralen und mediastinalen Faszienauskleidungen der großen Körperhöhlen und das dazugehörige vaskuläre, neuronale und lymphatische System. Weiterhin zählen dazu die weiblichen und männlichen Urogenitalorgane einschließlich des renalen Retroperitonealraumes. Der viszerale Rhythmus wird von Osteopathen als von anderen Rhythmen (Atmung, Pulsschlag, Peristaltik usw.) unabhängige Eigenschwingung viszeraler Organe mit einem Zyklus von 4-8 Schwingungen pro Minute beschrieben.
  • Craniosakrales SystemZum Craniosakralkomplex wird der Schädel, zentrales Nervensystem und Rückenmark mit ihren duralen Umhüllungen, der Liquor cerbrospinalis sowie das Sacrum gerechnet. Besondere Bedeutung hat die funktionelle Koppelung zwischen Cranium und Sacrum. Der wichtige craniosacrale Rhythmus, auch primär respiratorischer Mechanismus genannt, bezeichnet die Funktion des Liquor cerebrospinalis mit 6-12 Zyklen pro Minute, die inhärente Mobilität von Gehirn und Rückenmark, die Beweglichkeit der Schädelknochen und die unwillkürliche Bewegung des Sakrums zwischen den Ilia.

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